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- Das Buch
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- In einem dunklen Zimmer, man hört nur das Flackern einer Kerze und sieht
- den Rauch einer Zigarette, sitzt an einem Tisch ein alter Mann. Sein Gesicht
- ist versteinert und vor ihm liegt ein Buch, sein Leben.
- Mit starrem Blick beginnt er in dem Buch zu blättern. Sorgfältig liest er Seite
- für Seite, ohne merklich seinen Gesichtsausdruck zu verändern. Doch dann
- legt er die Zigarette aus der Hand und holt ein vergilbtes Foto aus seiner
- Hemdtasche. Dabei huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht, aber so
- schnell es kam, so schnell war es auch wieder verschwunden. Niemand ahnt
- in diesem Augenblick an was der Alte denkt, nur er weiß was es zu bedeuten
- hat. Er läßt das Buch an dieser Stelle aufgeschlagen, geht zum Fenster und
- schaut zum Himmel. Als scheint er etwas zu suchen schweift sein Blick um -
- her. Dann verharrt er für Minuten und blickt wieder auf das Bild. In diesem
- Moment rollt eine kleine Träne über seine Wange und mit zitternden Händen
- versucht er er sie zu trocknen. Doch sie fällt langsam zu Boden. Er bückt sich
- und traut seinen Augen nicht. Vor Ihm auf dem Boden liegt die Träne und
- schimmert wie ein Diamant im Mondlicht. Behutsam hebt er sie auf und geht
- zum Tisch zurück. Langsam setzt er sich und läßt die Träne auf die offene
- Seite fallen. Mit einem leisen Geräusch zerplatzt sie und wird zu einem Fleck.
- Genau auf diese Stelle legt er dann das Bild. Plötzlich steigt dort ein kleiner
- Nebel auf und formt sich zu einer Gestalt. Man erkennt jetzt ganz deutlich
- den Umriß einer Frau. Sekundenlang starren sie sich fest in die Augen. Dann
- sagt er etwas mit ganz leiser Stimme und streicht ihr vorsichtig übers Haar.
- Da ergreift sie seine Hand und drückt ganz fest zu, um ihm zu zeigen das sie
- es verstanden hat. Mit einem leisen Hauch verzieht sich der Nebel wieder.
- Da schlägt der alte Mann das Buch wieder zu und schließt seine Augen.
- Sein Atem wird langsamer und immer leiser, dann geht ein kleiner Ruck durch
- seinen Körper. Das Herz hört auf zu schlagen und er hat endlich seine Ruhe
- gefunden.
- Da tritt ein junger Mann ins Zimmer und erblickt traurig seinen Vater. Er geht
- zum Tisch und sieht dieses Buch, aus dem ihm sein Vater sooft vorge -
- lesen hat. Er weiß aber auch, daß eine Stelle immer ein Geheimnis für ihn war.
- Behutsam nimmt er seinen Vater in den Arm und trägt ihn zu dem alten Nuß -
- baum im Garten. Dort war der Lieblingsplatz an dem sein Vater oft stunden -
- lang gesessen hat. Langsam und mit Tränen in den Augen, beginnt er ein
- Grab auszuheben. Deutlich zeichnet sich jeder Muskel auf seinem Körper ab.
- Sein blondes Haar fällt ihm immer wieder ins Gesicht und seine blauen Augen
- sind voller Tränen. Als er fertig ist legt er seinen Vater hinein, holt das Buch
- und legt es dazu. Dabei fallen das Bild und eine Seite heraus. Er schaut auf
- das Bild und erkennt die Frau, von der sein Vater sooft erzählt hat. Er schaut
- lange auf das Bild und es kommt ihm so vor, als kenne er sie selbst. Weil er
- weiß. wie sehr sein Vater sie geliebt hat, will er es wieder ins Buch zurück -
- legen, doch es läßt sich nicht mehr öffnen. So steckt er es ein und beginnt
- voller Wehmut seinen Vater mit Erde zu bedecken. Als der Mond dann hinter
- den Bergen versinkt, ist er fertig. er wischt sich den Schweiß und die Tränen
- vom Gesicht und bemerkt erst jetzt die herausgefallene Seite. Er hebt sie auf
- und beginnt die Worte seines Vaters zu lesen.
- Mein lieber Junge, verberge nie deine wahren Gefühle, kämpfe immer dafür
- und gebe niemals auf. Sage alles was du denkst, das Wort Entschuldigung
- ist genauso wichtig wie die Worte Ich liebe dich. Wenn du Glück hast, zeige
- es, aber Kummer und Schmerz behalte für dich.
- Noch sind diese Worte zu kompliziert für ihn, aber eines Tages wird er sie
- verstehen.
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